Digitale Services für die Zuckerindustrie

Mit der Entwicklung einer Hardware gelingt BMA ein großer Schritt zur vernetzten Zuckerfabrik

 

Seit dem Jahr 2018 arbeitet BMA an der Digitalisierungsstrategie smart4sugar, um die Zuckerfabrik digital zu vernetzen. Das Ziel: auf Maschinen- und Produktionsdaten zu jeder Zeit und von jedem Ort zuzugreifen, Potenziale aufzudecken und die Effizienz der Fabrik zu steigern. Dazu entwickeln wir eine eigene Hardware – als Schnittstelle zur Microsoft Azure Cloud. Im Interview erläutern Thorben Förster (Leiter IT, BMA AG), Kristin Odörfer (Senior Manager Digital Sales, BMA AG) und Kevin Heyland (Gesellschafter DEVDEER GmbH), wie weit die Entwicklung der digitalen Zuckerfabrik bereits ist, welche Schritte nun anstehen – und warum das Kunden-Feedback aus der Zuckerindustrie so wichtig ist.

 

 

Interview Partner

 

Kristin Odörfer ist Senior Manager Digital Sales bei BMA und Schnittstelle zwischen Geschäftsführung, Vertrieb, IT und Entwicklungsdienstleister. Sie ist die Projektleiterin von smart4sugar.

Thorben Förster leitet die IT bei BMA und koordiniert und plant unsere digitalen Aktivitäten. Dazu gehört unter anderem die Einführung von Sharepoint.

Kevin Heyland ist Gesellschafter der DEVDEER GmbH aus Magdeburg. Als Product Owner Proxy ist er die Schnittstelle zwischen dem Kunden-Produktmanagement und dem Projektmanagement.

Woher kommt der Ansatz, Geräte und Maschinen smarter zu machen? 

Förster: Seit mehreren Jahren herrscht große Aufbruchsstimmung am Markt, wofür die Vernetzung und Digitalisierung von Maschinen verantwortlich ist. Diesen Trend haben wir erkannt, in die Entwicklung von Maschinen und Ausrüstung einbezogen und daraus eine Strategie entwickelt. Ein Teil dieser Strategie ist es, in naher Zukunft die Zuckerfabrik digital zu vernetzen. Bereits Ende 2017 haben wir den Entschluss gefasst, dass wir uns in diese Richtung bewegen wollen.  

Odörfer: Wir machen das nicht nur für uns, sondern in erster Linie für unsere Kunden. Ihnen ist es wichtig, Daten zu erfassen und auswerten zu können. Also haben wir uns dazu entschieden, das Kundenbedürfnis in den Vordergrund zu stellen. BMA ist ein weltweit wichtiger Partner der Zuckerindustrie. Von uns wird erwartet, dass wir uns mit diesen Themen befassen. 

Heyland: Es gibt mehr als einen Ansatz, um Geräte und Maschinen smarter zu machen. Das Feld der Digitalisierung ist riesig. Daher ist es umso wichtiger, immer wieder aufs Neue die Bedürfnisse des Marktes in den Blick zu nehmen und auf dieser Basis die Strategie gegebenenfalls anzupassen und zu verbessern. Das wollen wir so agil wie möglich angehen. Sowohl eine große Herausforderung als auch eine große Chance für den Maschinenbau ist es, Hardware-Entwicklungsprozesse auf die agilen Entwicklungsrhythmen der Softwareentwicklung auszurichten. 

Warum benötigt BMA ein Gateway für smart.monitoring? 

Odörfer: Ganz einfach gesagt: Weil wir die Daten aus den Maschinen übertragen wollen. Das Gateway ist die Schnittstelle vom Equipment in die Cloud. Entweder hat das Gateway eine integrierte SIM-Karte oder es ist über LAN am Produktionsstandort verbunden.  

Heyland: Insbesondere der digitale Service smart.monitoring funktioniert erst durch Maschinendaten und ist davon abhängig, dass diese live auf der ganzen Welt in die Cloud gesendet werden können. Das Gateway ist sozusagen das Herzstück von smart.monitoring. Die digitale Vernetzung reicht vom Standort der Anlage bis zur Inbetriebnahme des Geräts von Mitarbeitern vor Ort. Ein ortsunabhängiger Zugriff auf Daten ist dann wichtig, wenn kein Service-Techniker von BMA aufgrund von Reisebeschränkungen anreisen darf. Dies erleben wir momentan in der weltweiten Pandemie durch COVID-19.  

Gab es Probleme, ein passendes Gateway am Markt zu bekommen? 

Förster: Wir hatten tatsächlich Schwierigkeiten, ein Gateway zu finden, das als Schnittstelle zwischen unserer Maschine oder unserem Endgerät und Microsoft Azure dient.  

Heyland: Um die definierten Anforderungen umzusetzen, braucht es ein Gateway, das „Out of the Box“ angeschlossen werden kann und perfekt auf die Features der Azure Cloud von Microsoft zugeschnitten ist. Die Daten werden Cloud-intern verarbeitet, bevor sie in smart.monitoring landen und dargestellt werden. Hierfür gibt es kein Gateway von der Stange, weil ihnen das notwendige Leistungsspektrum fehlt. So sind viele Geräte bis heute unzureichend kompatibel mit Microsoft Azure – oder zumindest nicht für unsere Anforderungen geeignet. 

Was hat konkret gefehlt?  

Förster: Um es kurz zu machen: Wir haben eine Schnittstelle für unsere Maschinen gesucht, um die direkte Anbindung und Ansteuerung in Microsoft Azure zu ermöglichen. Mit der verfügbaren Soft- und Hardware auf dem Markt konnten diese Anforderungen nicht realisiert werden. Der entscheidende Punkt ist, dass wir neben dem Datenaustausch auch die Gerätemanagementverwaltung durchführen möchten – alles in einem Gerät. Auch von den Security-Levels der Gateway-Hersteller auf dem Markt waren wir nicht überzeugt. Wir möchten unseren Kunden die höchstmögliche Sicherheit bieten. 

Odörfer: Eine wichtige Anforderung, die nicht erfüllt werden konnte, war die Komprimierung der Daten. Es werden ja sehr viele Datenpakete über die Schnittstelle gesendet, und das verringert natürlich die Bandbreite der Verbindung. Diese Funktion konnten die getesteten Geräte nicht liefern. 

Heyland: Zumal wir sicherstellen müssen, dass die Daten an jedem Ort zuverlässig gesendet werden. BMA installiert Großanlagen für die Zuckerindustrie weltweit. Das heißt, dass die Infrastruktur für den Datenaustausch nicht in jedem Land der Welt dieselben hohen Standards aufweist, der Austausch aber dennoch überall funktionieren muss. 

Zu welcher Erkenntnis sind Sie nach all diesen Erfahrungen gekommen?  

Förster: Wir haben verschiedene Geräte ausprobiert, doch unsere Anforderungen konnten sie allesamt nicht erfüllen. Die Sondierung hat knapp zwei Jahre gedauert, um festzustellen, dass wir mit den verfügbaren Geräten nicht weiterkommen. Mit dieser Situation waren wir sehr unzufrieden. 

Was war die Lösung? 

Förster: Im Laufe der zwei Jahre haben wir echtes Expertenwissen gewonnen und so sind wir an dem Problem nicht gescheitert, sondern eher gewachsen. Wir haben den Entschluss gefasst, die Schnittstelle selbst zu entwickeln und zu bauen – das war die Lösung. 

Heyland: Am Ende ging die eigene Entwicklung und Umsetzung wesentlich schneller. Die Arbeit begann im Mai 2020. Zusammen mit BMA konnten wir binnen weniger Monate ein Gerät bis zur Marktreife entwickeln. Wir haben uns als reiner Softwareentwickler dazu entschlossen, auch in die Hardwareentwicklung einzusteigen und das Gerät zu konstruieren und zu fertigen. Bereits in der frühen Findungsphase haben wir gezeigt, dass BMA sich auf DEVDEER verlassen kann. Denn die Entwicklung eines Gateways von Grund auf ist auch mit einem Risiko verbunden. Für die Hardware ist eine nahtlose Integration mit den Anlagen von BMA erfolgt. Dadurch können wir das Plug & Play gewährleisten, sprich: ohne aufwendige Konfiguration das Gerät schnell anschließen und einfach loslegen. Neben der Softwareentwicklung haben wir uns zusätzlich dazu entschieden, das Gateway in Eigenregie zu Fertigen. 

Odörfer: Im Laufe der Zeit hat BMA verschiedene Fachkompetenzen hinzugewonnen. Wir haben nicht nur ein Gateway in Abstimmung mit DEVDEER entwickelt, sondern gleichzeitig eine Schnittstelle geschaffen, die einen Datenaustausch zur Microsoft Azure Plattform gewährleistet, und sind damit nun auch federführend in diesem Bereich. Genau das spiegelt dann auch die Plattformstrategie von smart4sugar wider. Wir arbeiten mit einem einzigen System und vermeiden eine Vielzahl verschiedener Plattformen. 

Was waren wichtige Schritte, um das Gateway für den weltweiten Einsatz zu entwickeln? 

Förster: Es waren mehrere Schritte nötig – sowohl software- als auch hardwareseitig. Die erste Grundlage und weitere Entwicklungen haben wir mit DEVDEER als Entwickler geschaffen. Dazu kommen dann Anforderungen, die die Hardware betreffen: Zertifizierungen, Integration von SIM-Karten und vieles mehr. Wir haben das Projekt in zwei Kategorien aufgeteilt – darunter die Kommunikation des Gateways an die SPS der Maschine. Diese Aufgabe haben die Kollegen der Abteilung „Automation“ übernommen. Für die Anbindung und Kommunikation in Richtung Microsoft Azure Cloud ist DEVDEER verantwortlich. Dazu gehört auch die Visualisierung eines Dashboards für den Endkunden. Dieser Entwicklungsprozess hat dann zwei Monate gedauert. 

Wie ist der aktuelle Stand?

Förster: Mittlerweile haben wir bereits die zweite Entwicklungsstufe des Gateways entwickelt. Wir verbessern kontinuierlich Features in der Software. Außerdem erhalten wir Feedback durch Geräte, die bereits im Einsatz sind. Diese Erfahrung fließt in die Weiterentwicklung ein.  

Odörfer: Wir sind mit dem Produkt live und stehen im engen Austausch mit unseren First-Mover-Kunden. Momentan beobachten wir das Nutzungsverhalten von smart.monitoring sehr genau, um von den Erfahrungen zu lernen. 

Heyland: Wenn wir uns den Service smart.monitoring heute anschauen, dann denke ich, dass wir viel erreicht haben. Die Komplexität, die wir anfangs meistern mussten und immer noch bewältigen, hat es in sich und ist auch noch lange nicht abgeschlossen. Die Softwareentwicklung ist ein kontinuierlicher Prozess. Wir arbeiten bis heute sehr eng mit der Forschungs- und Entwicklungsabteilung von BMA zusammen, damit die Daten im Dashboard noch genauer und zuverlässiger werden. Zwei Jahre ist für BMA sicherlich ein immenser Zeitraum für ein Softwareentwicklungsprojekt, aber für uns als Softwareentwickler nicht unüblich. Vor allem, wenn es durch echtes User-Feedback wächst und reift. Das Projekt smart4sugar ist ein sehr wichtiges Projekt, nicht nur für BMA, sondern für die gesamte Zuckerindustrie. Es besteht aus mehreren Teilprojekten, wovon das Dashboard smart.monitoring nur ein Baustein ist. Die ersten Rückmeldungen sind vielversprechend, geben uns Rückenwind und zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. 

Wie wird es in Zukunft weitergehen? 

Odörfer: Zukünftig wollen wir ein Online-Kundenportal schaffen. In diesem Portal werden alle digitalen Services wie Webshop, Konfigurator und Vertragsdaten hinterlegt. Außerdem wird noch weiteres Equipment vernetzt. Das heißt, smart4sugar wird nicht nur für Zentrifugen eingesetzt, sondern zukünftig eine alle Ausrüstungen einer Zuckerfabrik abbilden können.  

Heyland: Jetzt ist ein wichtiger Zeitpunkt für smart.monitoring, weil wir wertvolles Feedback und Daten von Kunden erhalten und sich dadurch enorm viele Potenziale auftun. Im Fokus der vergangenen Monate stand die Umsetzung von Remote Services, damit Kunden von BMA, auch trotz Reiseeinschränkungen und Lockdowns, unabhängig und informiert entscheiden und agieren können. Einige wichtige zukünftige Features werden von weiteren Faktoren abhängig sein, die nicht in der reinen Softwareentwicklung verortet sind. Hierzu müssen Bestandssysteme angepasst oder ersetzt werden, um diese an smart4sugar anschließen zu können; digitale Einnahmequellen müssen gehandhabt werden; und Prozesse aus Feldern wie Einkauf, Logistik und Controlling müssen agil und digital übersetzt werden. Es bleibt also viel zu tun. Und das ist gut so. 

Vielen Dank für das Gespräch!